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Baby-Blues & Wochenbettdepression

Das sollten Sie wissen!

„Du musst dich doch freuen“, „Jetzt bist du doch endlich Mutter, du musst doch nicht traurig sein“ oder „Das ist nun mal so. Ein bisschen Blues gehört dazu!“ – es gibt viele Sätze, die einen als frisch gebackene Mama treffen und tief verletzen können. Glaubenssätze oder Erfahrungen anderer Menschen, die sie einem einfach mal so aufdrücken. Ungefragt. Unsensibel. Das ist an sich schon – ich muss es mal so deutlich sagen – bescheuert genug! Nicht nur, weil die Situation im Wochenbett sensibel ist, sondern weil viele Frauen eben nicht „nur“ ein kleines Tief haben, sondern einen krassen Blues – viele haben sogar eine Wochenbettdepression. Weil aber das Mutterbild heute in vielen Teilen der Gesellschaft immer noch mit Adjektiven behaftet ist wie „immer fürsorglich, immer stark, immer verfügbar“ sind solche Aussagen ein Problem. Mütter kommen in einen inneren Konflikt, stellen sich Fragen wie „Bin ich eine gute Mutter?“ – und genau das kommt noch on top auf den Blues oder die Wochenbettdepression. Das ist zu viel!

Wir möchten darüber sprechen und das Thema enttabuisieren. Normalisieren. Deshalb bekommen Sie jetzt Erste Hilfe und Hintergrundwissen zu diesen Themen von Frauenärztin Dr. Judith Bildau und Hebamme Kerstin Lüking.

Dr. Judith Bildau, Frauenärztin

Dr. Judith Bildau, Frauenärztin (© Alex Heitz)


Liebe Judith, was ist eine Wochenbettdepression genau?

Die Wochenbettdepression ist eine depressive Erkrankung, die definitionsgemäß innerhalb von drei Monaten nach der Geburt eintritt und länger als zwei Wochen anhält. Mütter, die darunter leiden, können eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Symptomen haben. Der Leidensdruck ist in der Regel sehr groß. Manchmal beginnen die Symptome eher schleichend, gar nicht so selten aber auch sehr abrupt. Sowohl für die Mütter – als auch die Partner*innen und im Grunde auch für das gesamte familiäre Umfeld – ist die Wochenbettdepression eine sehr belastende Erkrankung.

Woran erkennen wir sie? Wie äußert sie sich?

Wie gesagt kann sich die Erkrankung schleichend entwickeln und sich der Zustand der Mutter eher langsam verschlechtern. Aber auch ein sehr plötzliches Auftreten der Symptome ist möglich. Manchmal ist es gar nicht so einfach, eine Wochenbettdepression „von außen” zu erkennen, da die Mütter häufig weiter „ganz normal” funktionieren. Eine Wochenbettdepression ist mitnichten gleichbedeutend damit, dass sich eine Mutter gar nicht mehr um ihr Kind kümmern kann. Die Symptome sind sehr vielfältig und können in ihrer Intensität sehr unterschiedlich sein. Zusammengefasst kann man sagen, dass die häufigsten Beschwerden eine tiefe Traurigkeit bis hin zur Hoffnungslosigkeit sind, häufig kommt es zusätzlich zu Schlafstörungen und innerer Unruhe, manchmal aber auch zu einem deutlich vermehrten Schlafbedürfnis und einer starken Antriebshemmung. Die meisten Frauen, die an einer Wochenbettdepression leiden, haben große Angst, etwas mit ihrem Baby falsch zu machen, sind sehr besorgt und fühlen sich schuldig, weil sie das Gefühl haben, als Mütter zu versagen.


Baby-Blues

Was unterscheidet sie vom Baby-Blues?

Manchmal sind die Grenzen natürlich nicht ganz einfach zu ziehen zwischen „Baby-Blues” und Wochenbettdepression. Rein definitionsgemäß handelt es sich beim „Baby-Blues” um ein vorübergehendes, sich selbstlimitierendes Stimmungstief kurz nach Geburt. Es hält in der Regel nur wenige Tage an, manchmal dauert es sogar nur ein paar Stunden. Ursächlich dafür ist einerseits die hormonelle Umstellung nach der Geburt, andererseits natürlich auch die plötzlich komplett neue Lebenssituation, die verständlicherweise erst einmal große Angst machen kann. Die Wochenbettdepression ist dagegen ein echtes Krankheitsbild, das in der Regel nicht direkt nach der Geburt auftritt, sondern innerhalb der ersten Wochen und dessen Symptome länger als zwei Wochen andauern.

Wie viele Frauen sind zirka betroffen?

Es ist nicht ganz einfach, hier eine genaue Zahl zu nennen. Schließlich leiden viele Mütter auch “still”, d.h. heißt sie holen sich keine professionelle Hilfe und erhalten deshalb auch nicht die Diagnose “Wochenbettdepression”. Geschätzt liegt die Zahl bei etwa 10-20 Prozent aller Mütter.

Sie sind nicht allein!

Ab wann sollten wir uns Hilfe holen?

Mein Appell an alle Mütter ist: Bitte warten Sie nicht zu lange, versuchen Sie nicht zu lange durchzuhalten und vor allem haben Sie keine Scham, wenn es Ihnen schlecht geht! Niemals. Nicht im Wochenbett und auch nicht später. Sobald Sie das Gefühl haben, Sie stoßen an ihre Grenzen, Sie wissen nicht mehr weiter und Sie brauchen Hilfe – bitte holen Sie sich diese. Bei der Wochenbettdepression können erste Anlaufstellen ganz konkret die Hebamme und/oder derdie Frauenärztin sein. Vertrauen Sie ihnen sich an. Sie können dann gemeinsam mit Ihnen weitere Schritte in die Wege leiten. Sie sind nicht allein.

Wie kann einer Betroffenen geholfen werden?

Erst einmal ist es ganz wichtig, die Diagnose zu stellen und den Frauen zu versichern, dass sie weder schuldig, noch schlechte Mütter sind. Die Wochenbettdepression ist eine Erkrankung, die es gilt, zu behandeln. Die Behandlung setzt sich meist aus verschiedenen Behandlungsbausteinen zusammen und gehört auf jeden Fall in professionelle Hände. Einer dieser Bausteine ist in der Regel eine Psychotherapie, manchmal benötigt es zusätzlich auch eine pharmakologische Unterstützung in Form von Antidepressiva.

Und inwiefern grenzt sich die Wochenbettdepression von der "normalen Depression" ab, die alle Geschlechter treffen kann?

Die Wochenbettdepression, deren Symptome natürlich der einer “normalen” Depression gleichen können, kann zeitlich eindeutig der Schwangerschaft und der Geburt zugeordnet werden. Übrigens: Frauen, die in ihrem Leben bereits an einer Depression gelitten haben, haben ein erhöhtes Risiko, auch an einer Wochenbettdepression zu erkranken. Deshalb ist es hier besonders wichtig, auf auftretende Symptome nach der Geburt zu achten.

Kerstin Lüking, Hebamme und Expertin von MutterKutter (© Anne Seliger)

Kerstin, wie siehst du die Situation als Hebamme?

Ich möchte gerne den Appell unserer Frauenärztin Judith aufgreifen, die ganz klar sagt: Sie sind nicht nicht allein! Bitte reden Sie darüber. Es muss Ihnen nichts peinlich sein. Bei den Wochenbett-Besuchen merke ich schon häufig eine klare Wesensveränderung bei den Frauen. Die Schwangere, die ich als extrovertierte und fröhliche Persönlichkeit kennengelernt habe, erlebe ich bei den Hausbesuchen plötzlich introvertiert, leise und den Tränen sehr nah. Auch Alltagstätigkeiten verlieren an Gewichtung und werden nicht mehr erledigt. Unter Umständen werden auch die Kinder nicht mehr richtig versorgt, beziehungsweise verliert die Mutter das Interesse am Kind. Schlaflosig- und Antriebslosigkeit können eintreten, viele Frauen fühlen sich auch wertlos. Es können plötzlich Herzbeschwerden, Zittern, Angst- und Panikanfälle auftreten.

Wichtig ist, dass ich als Hebamme das Thema anspreche und Hilfestellung durch ein professionelles Netzwerk zur Verfügung stelle. In der Regel sollte man auf die Dringlichkeit bei den Therapeut*innen hinweisen, damit keine lange Wartezeit für die betroffene Frau entsteht. In der Not und in schweren Fällen können Frauen auch in eine psychologische Einrichtung, im besten Fall mit Kind, eingewiesen werden. Erfahrungsgemäß sind die Verlaufslängen sehr unterschiedlich. Oft setzt eine Besserung ein, wenn sich der Hormonhaushalt wieder einpendelt, z.B. wenn die Frau abgestillt hat oder auch die Schilddrüsenhormone nach einer Überprüfung neu eingestellt worden sind.

Im Übrigen können auch Partner*innen von einer Depression im Wochenbett betroffen sein, insbesondere dann, wenn schon eine psychische Vorerkrankungen vorhanden, hohe Erwartungen oder auch finanzielle Probleme im Vordergrund stehen.

Die Prognose ist erfreulicherweise sehr sehr gut und die Patient*innen erholen sich wieder vollständig. Dennoch bleibt natürlich immer die Angst bestehen, dass nach einer weiteren Geburt wieder eine Depression einsetzt. Auch dieses habe ich schon erlebt. Durch viel Unterstützung im Haushalt, durch eine verordnete Hilfe, und begleitender Therapie konnten wir aber den Verlauf immer begünstigen.

Hilfe bei depressiven Gefühlen bietet Ihnen der Verein Schatten & Licht e.V., der auf psychische Krisen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt spezialisiert ist. Weitere Infos unter schatten-und.licht.de .